ENTWURF EINER EUROPÄISCHEN  BUNDESVERFASSUNG

vom 6. Mai 1951

Wir, die Völker...

im Bewußtsein unserer Kulturgemeinschaft, bestrebt, die soziale Gerechtigkeit zu fördern, besorgt um die Hebung des allgemeinen Wohlstandes, entschlossen, die menschliche Freiheit zu retten, gewillt, den Frieden zu sichern,

haben beschlossen, unsere Staaten unter dem Namen

VEREINIGTE STAATEN VON EUROPA

zu einem Bunde zusammenzuschließen, dessen Befugnisse in der vorliegenden Verfassung niedergelegt sind.

Kapitel 1
GRUNDSÄTZE

Art. 1. Alle Mitgliedstaaten des Bundes haben gleiche Rechte und gemeinsame Pflichten.

Art. 2. (1) Der Bund ist eine Gemeinschaft souveräner Staaten, entschlossen, gemeinsame verfassungsmäßige Institutionen zu schaffen und zu erhalten.

(2) Die Mitgliedstaaten üben ihre souveränen Rechte weiter direkt aus, soweit sie diese nicht auf gemeinsame, in der vorliegenden Verfassung vorgesehene Organe übertragen haben.

(3) Der Beitritt zum Bunde erfolgt freiwillig.

Art. 3. (1) Sobald die verfassungsmäßig zuständigen Organe von mindestens 5 europäischen Staaten mit einer Gesamtbevölerung von über hundert Millionen die vorliegende Verfassung ratifiziert haben, tritt sie für diese Staaten in Kraft.

(2) Alle übrigen europäischen Staaten, soweit sie die Menschenrechte im Sinne ihrer Formulierung durch den Europarat achten, können in der Folge durch eine solche Ratifizierung dem Bunde beitreten. Ihr Beitritt muß dann durch die Europäische Bundesversammlung angenommen werden.

Art. 4. Der Bund setzt ein gemeinsames Statut für alle Angelegenheiten der Mitgliedstaaten fest, die als Bürger der Vereinigten Staaten von Europa zu betrachten sind.

Kapitel II
BEFUGNISSE

Art. 5. Der Bund ist verpflichtet, alle Maßnahmen zur Sicherung der Ordnung und des Friedens zu ergreifen.

Art. 6. (1) Der Bund unterhält diplomatische und konsularische Beziehungen mit den Mächten, die ihm nicht angehören. Er kann internationale Vereinbarungen treffen.

(2) Die Mitgliedstaaten können untereinander sowie mit ausländischen Mächten diplomatische Vertreter austauschen.

Art. 7. Der Bund ist befugt, alle Maßnahmen zur Vereinheitlichung der europäischen Wirtschaft zu ergreifen.

Art. 8. (1) Der Bund respektiert die demokratischen Verfassungen seiner Mitgliedstaaten.

(2) Bei Widersprüchen zwischen der Gesetzgebung eines Mitgliedstaates und einem Bundesgesetz gilt das Bundesgesetz.

Kapitel III
DIE BUNDESBEHÖRDEN

1. Das Bundesparlament

Art. 9. (1) Das Bundesparlament, bestehend aus einem Abgeordnetenhaus und einem Senat, übt die gesetzgebende Gewalt des Bundes aus.

(2) Das Parlament tagt mindestens einmal im Jahr.

(3) Die Völker, die dem Bunde angehören, sind im Abgeordnetenhaus im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl vertreten mit je einem Abgeordneten für jede Million oder für den Bruchteil einer Million.

(4) Die Abgeordneten werden in direkten Wahlen auf 4 Jahre gewählt, auf Grund des allgemeinen Wahlrechtes, entsprechend den nationalen Gesetzen jedes Mitgliedstaates.

(5) Der Senat besteht aus Vertretern der nationalen Parlamente.

(6) Jeder Staat stellt 12 Delegierte, Staaten unter einer Million nur 6.

(7) Nach jeder Parlamentswahl in ihren Staaten werden die betreffenden Delegationen erneuert.

(8) Die beiden Kammern tagen getrennt. Ihre Befugnisse sind jedoch die gleichen, und die Zustimmung beider Kammern ist für jeden Beschluß erforderlich.

Art. 10. Die Aufstellung des Bundesbudgets ist dem Parlament vorbehalten.

Art. 11. Die beiden Kammern des Parlamentes vereinigen sich zur Bundesversammlung in folgenden Fällen:

a) Wahl des Bundesrates

b) Wahl der Richter des Bundesgerichtes

c) Aufnahme neuer Mitgliedstaaten

d) Verfassungsrevision.

2. Der Bundesrat

Art. 12. (1) Die vollziehende Behörde ist ein Bundesrat, dessen neun Mitglieder von der Bundesversammlung auf vier Jahre gewählt werden.

(2) Der Bundesrat bleibt im Amt bis zur Konstituierung des neuen Rates.

Art. 13. (1) Der Bundesrat ist dem Parlament für alle seine Handlungen verantwortlich.

(2) Die Befugnisse des Bundesrates werden nach Verwaltungsressorts unter dessen Mitglieder verteilt.

(3) Alle Beschlüsse erfolgen im Namen des Bundesrates.

Art. 14. Falls der äußere oder innere Frieden oder die Sicherheit des Bundes gestört oder bedroht sind, hat der Bundesrat alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. In diesem Falle muß er sofort dem Parlament Bericht erstatten.

Art. 15. (1) Der Bundesrat wählt auf ein Jahr mit einfacher Mehrheit eines seiner Mitglieder zum Präsidenten und ein anderes zum Vizepräsidenten. Der Präsident, und im Falle seiner Verhinderung der Vizepräsident, führt den Vorsitz im Bundesrat.

(2) Der Präsident des Bundesrates ist zugleich Präsident der Vereinigten Staaten von Europa.

3. Das Bundesgericht

Art. 16. (1) Das Bundesgericht besteht aus 15 Mitgliedern.

(2) Die Richter werden aus einer vom Bundesrat aufgestellten Liste von 45 Kandidaten mit Zweidrittelmehrheit von der Bundesversammlung auf Lebenszeit gewählt. Die Richter wählen aus ihrer Mitte ihren Präsidenten.

Art. 17. (1) Das Bundesgericht ist zuständig:

a) für die Auslegung der Verfassung;

b) für die Regelung von Streitfällen zwischen Mitgliedstaaten.

(2) Das Bundesparlament kann die Kompetenz des Bundesgerichtes durch ein Bundesgesetz auf andere Gebiete erweitern.

Kapitel IV
VERFASSUNGSREVISIONEN

Art. 18. Verfassungsrevisionen bedürfen der Dreiviertelmehrheit aller Mitglieder der Bundesversammlung.

Unter dem Vorsitz des Grafen Coudenhove-Kalergi, des Führers der Paneuropa-Bewegung, trafen sich am 2. Februar 1951 in Basel 70 Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarates zur Gründung des „Verfassungskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa“. Auf der zweiten Tagung des Verfassungskomitees, die vom 4. - 6. Mai desselben Jahres in Straßburg stattfand, wurde der hier wiedergegebene Vor- und Rahmenentwurf ausgearbeitet.

Der vorstehende Rahmenentwurf hat in bezug auf die Verfassungsorganstruktur diejenige der Schweiz übernommen.
 


Quelle: P.C. Mayer-Tasch, Die Verfassungen Europas, Kröner Verlag 1966
© 23. April 2001
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